Manche Menschen haben panische Angst vor brummenden Insekten. Ich hingegen betrachte Bienen, Wespen und Hummeln gerne bei ihren Verrichtungen, wie sie fliegen, sammeln, befruchten und futtern. Ich betrachte Pflanzen auch gerne beim Wachsen – teilweise stundenlang. Es erfüllt mich mit Frieden, die Welt funktionieren zu sehen. Dann entspannen sich die Muskeln, dann stellt sich plötzlich so etwas wie innere Ruhe ein, dann stoppt das Gedankenkarussell. Besser als jede Yoga-Übung macht mir die Natur bewusst, was eigentlich wichtig ist: atmen, leben. Und mehr braucht es manchmal nicht, mehr ist manchmal auch einfach nicht drin.
Manchmal bin ich auch zu wütend, um einen solchen Zen-Zustand zu erreichen. Dann reiße ich aggressiv am Unkraut, stemme mich mit aller Kraft dagegen, fluche laut und voller Inbrunst, wenn ich rücklings in die Erde falle, einen Regenwurm unter mir begrabe. Die Arbeit ist schmutzig, sie ist hart. Die Psychiaterin Sue Stuart Smith erklärt in der SZ, dass das Pflegen von Pflanzen eben etwas Destruktives hat, dass Aggression nötig ist, um etwas wachsen zu lassen. Ein schöner, ein befreiender Gedanke. Denn Fürsorge, das Hegen und Pflegen, ist – auch in menschlichen Beziehungen – auslaugend, ermüdend, anstrengend. Und das ist okay. Das ist normal. Denn, und das ist wichtig: Aus all dem Dreck entsteht immer etwas Schönes. Da ist immer etwas, wofür es sich lohnt. In unsteten Zeiten, in denen wir das Gefühl haben, dass jeden Tag wieder etwas einbrechen, ja zusammenbrechen könnte, bietet uns der Garten plötzlich etwas, auf das wir uns freuen können. Seien es die ersten Radieschen oder die dekorativen Kürbisse im Herbst. Und er bietet noch etwas: Sicherheit. Denn wenn man sich auf eines verlassen kann, dann darauf, dass die Jahreszeiten immer wieder aufeinanderfolgen. Diese Struktur bietet Trost, sagt auch Stuart Smith.

Körperliche Arbeit schafft auch einen wichtigen Ausgleich zum Arbeiten am Schreibtisch. Es ist schön, zwei Säcke Erde in den vierten Stock zu schleppen, die schwere Rose mühsam umzutopfen und danach den klobigen Tontopf in den Keller zu hieven. Vielleicht nicht unbedingt währenddessen, aber definitiv danach, wenn man die Rose betrachtet. Es ist auch schön, manches nicht in der Hand zu haben. Zu wissen, dass die eigene Kreativität auf die der Natur trifft. Dass man einen vermeintlichen Paprikasamen einpflanzt und plötzlich eine kräftige Tomatenpflanze vor sich hat, kann einen schon mal ärgern. Dass die Andenbeere bald fast den ganzen Balkon einnimmt und alles andere unter sich begräbt, hätte man sich so auch nicht vorgestellt. Aber es kommt, wie es kommt, und plötzlich sitzt man im Urwald und futtert Tomatensalat. Man hätte es schlechter treffen können.
Der Gartentherapeut Andreas Niepel sagte der Zeit, dass die Corona-Pandemie in uns einen Stresskreislauf aktiviert. Wir wollen kämpfen – nur: Gegen ein Virus geht das kaum. Und hier kommt der Garten ins Spiel: Niepel nennt ihn ein “Übungsgelände für Katastrophen aller Art”. Und es ist wahrlich eine Katastrophe, wenn Spätfröste die mühsam großgezogenen Jungpflanzen vernichten oder der Kater den einzigen Keimling einer raren Tomatensorte frisst. Also werden wir wütend, wir kämpfen aktiv gegen Schädlinge, gegen den renitenten Giersch, gegen gefräßige Schnecken und wucherndes Unkraut. Und danach sind wir: erschöpft. Und das ist großartig. Wir lassen uns auf den Gartenstuhl sinken, öffnen ein Bier und betrachten die getane Arbeit. In dieser Welt, in der so viel Unsicherheit lauert, symbolisiert der Garten dann etwas, was wir kontrollieren können. Wer beim Jäten schludert, wer das Efeu wuchern lässt, wer Jungpflanzen nicht vor Katzen schützt, der wird sich ärgern – und es beim nächsten Mal besser machen. Und auch das verbliebene Unkraut lehrt mich immer wieder eine wichtige Lektion: Dieses kräftige Grün trotzt widrigsten Umständen – man denke an Peter Lustig und den Löwenzahn, der aus massivem Beton herausbricht. Es interessiert den Löwenzahn nicht, ob das möglich ist. Er wächst, er überlebt, er gedeiht, er kämpft. Und so und nicht anders nehme ich das Leben dann wahr: Keine Garantie, kein Anspruch auf Glück und Leichtigkeit, im Gegenteil, man kämpft sich so durch, wir alle, durch diesen Corona-Beton. Und irgendwann kommt eine Zeit, da werden wir wieder blühen. Das ist so sicher, wie dass auf den Frühling der Sommer folgt und auf den Sommer der Herbst.