Warum man an der vielen Gartenarbeit auch mal verzweifeln darf
Es ist wichtig zu erwähnen, dass ich manchmal an der vielen Gartenarbeit neben meinem Job und den sonstigen Verpflichtungen, die das Leben halt so bietet, verzweifle. Dass ich manchmal meinen Krautgarten betrachte und die vielen Stimmen verstehe, die gesagt haben: “Bist du wahnsinnig? Du bezahlst Geld für sehr viel Arbeit und Rückenschmerzen? Um Gemüse anzubauen, das du auch jederzeit im Aldi kaufen könntest?” Ich muss sagen, da ist schon was dran. Einen Krautgarten zu mieten, ist zwar nicht besonders teuer (ich bezahle 50 Euro pro Jahr), und man bekommt auch einiges dafür (Saatgut und Jungpflanzen zum Beispiel). Aber man erkauft sich damit auch viel Verantwortung und Arbeit – ich zitiere: “Sie sind verpflichtet, Unkraut zu entfernen. Insbesondere die Ackerdistel.” Man stelle sich einen unheilvollen Hintergrundsoundtrack vor. “Wenn die blüht, wuchert sie uns alles zu.” Die Ackerdistel und andere Unkraut-Endgegner gilt es im Krautgartenjahr in Schach zu halten, nebenbei muss man noch Schneckenplagen Herr werden, auf eine optimale Nährstoffversorgung achten (Stichwort Braunfäule), regelmäßig ausgeizen, abernten, gießen. Manchmal soll es sogar passieren – habe ich von einem Freund gehört – dass man seine eigene Parzelle am Beginn des Krautgartenjahres mit der nebenan verwechselt und für nichts und wieder nichts 15 Quadratmeter steinigen, noch halb gefrorenen Boden umgräbt. Da darf man sich schon mal fragen: “Wozu eigentlich?” Eine Spurensuche:
Erde enthält ein bestimmtes Mikrobakterium, das sich positiv auf die Psyche auswirken soll. Das sagt auch die versnobte Milliardärin in der Serie “Inventing Anna”, wenn sie zwischen Besuchen bei Barneys und High-Society-Aperol-Spritz-Empfängen ihre zarten Hände in einen Petunientopf steckt. Ich bin der Ansicht: Bevor man Dreck antidepressive Eigenschaften unterstellt, sollte man sich eher fragen, ob nicht eher die Zeit an der frischen Luft und der Vitamin-D-Schub für einen erhöhten Serotonin-Spiegel verantwortlich sind. Wind, wenn er uns Stadtkindern plötzlich und entgegen aller Wahrscheinlichkeit um die Nase weht, kann einen schon mal in Hochstimmung versetzen. Selbst, wenn man kein Wal ist und nicht vom Himmel Richtung Grund fällt.
Was der Wal aufgrund seiner kurzen Lebenszeit leider nicht mehr erfahren konnte, ist der Mehrwert, den die körperliche Auseinandersetzung mit dem Grund darüber hinaus bietet: Gartenarbeit ist anstrengend. Fast wie ein Besuch im Gym. Betuchte Stadtkinder auf Käsewürfel-Diät ziehen verblüfft die Augenbrauen hoch. Wie jede körperliche Betätigung setzt Gartenarbeit Endorphine frei. Klar, man hat danach Rückenschmerzen und fühlt sich wie 80 – der Ischias! Klar, man hat Erde an Stellen, an denen man eigentlich keine haben sollte. Und man stinkt bestenfalls nach Schweiß und schlimmstenfalls zusätzlich nach Dung. Und, vielleicht das Allerschlimmste: Niemand hat einen gesehen geschweige denn gefilmt bei der ganzen Anstrengung. Da fragt man sich natürlich ganz zu Recht: Warum mache ich das überhaupt? Ich sag euch was: weil wir Gott spielen wollen. Weil wir aus dem Nichts wunderschöne Paprikapflanzen erschaffen, diese dann stolz wie Oskar stundenlang bewundern und uns plötzlich allmächtig fühlen.
Leider ist es mit diesem “Erschaffen” wie mit dem Kinderkriegen oder dem Haustiere-Halten. Auf den kurzen Moment, in dem wir Gott spielen dürfen, folgen Jahrzehnte des Kümmerns, des Fütterns, des Katzenklo-Saubermachens. Weniger göttlich geht es kaum. Ist es ein Trugschluss, dass wir jemals etwas erschaffen können, ohne uns selbst dadurch einen Haufen Arbeit aufzubürden? Haben etwa die Mönche recht, die mit gutmütigem Augenaufschlag flüstern: “Je weniger man hat, desto glücklicher ist man?” Mache ich mir etwa etwas vor, wenn ich mir sicher bin, dass meine 30 Quadratmeter Ackerland ausschließlich positive psychische und physische Zugewinne für mein Leben bedeuten – und nicht etwa sehr viel Arbeit und Frust? Wie schnell sich solche Argumentationen in Logikwolken auflösen können.

Was in derartigen argumentationstechnischen Sackgassen immer hilft, sind emotionale Ausbrüche à la “Aber wenn sie dich dann anlächeln…” (Quelle: jedes frisch gebackene, übermüdete Elternteil am Rande der völligen Erschöpfung, immer). Ich übertrage das mal flugs auf den Garten: “Aber wenn du dann die ersten Tomaten erntest…” Und wenn du die ersten Zucchinis Freunden und Verwandten aufdrängst, die sie eigentlich gar nicht haben wollen, weil sie verdammt noch mal nicht schon wieder Unmengen an Zucchini-Suppe einfrieren wollen, aber dennoch freundlich lächelnd “Toll, danke!” sagen… Dann ist alles vergessen. Und dann, im nächsten Jahr, wenn man eigentlich auch entspannt auf der Couch faulenzen könnte, legt man halt doch wieder ein Beet an.
Und irgendwo auf der Welt fällt gerade ein Petunientopf randvoll mit Mikrobakterien vom Himmel und denkt “Oh nein, nicht schon wieder!”
PS: Wem die Referenzen zum Wal und zum Petunientopf beim Lesen arg seltsam vorkamen, dem sei wärmstens die Lektüre des großartigen Werks “Per Anhalter durch die Galaxis” von Douglas Adams ans Herz gelegt. Hier der entsprechende Ausschnitt aus dem Film von 2005:
Dein Beitrag hat mich köstlich amüsiert 🙂
Krümels Lässigkeit ist unschlagbar!