Wie ich meine Kentiapalme um die Ecke brachte
Während ich Pflanzen großziehe, hege und pflege, liebevoll Bonsais umtopfe, andächtig Blätter streichle und freudig Tomaten ernte, höre ich gerne Podcasts über grausame Verbrechen, zerstückelte Leichen und in Beton gegossene Körperteile. Das sind zwei Hobbys, die auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam haben. Wenn man aber genauer hinschaut, ist meine Wohnung bereits zum Tatort mehrerer schlimmer Verbrechen geworden. So besaß ich bis vor einem Jahr eine anfangs sehr schöne Kentiapalme. Hierbei handelt es sich um eine (angeblich!) recht pflegeleichte Zimmerpflanze. Was ich allerdings beim Kauf nicht ahnen konnte: Sie war von Wollläusen befallen, die sich in meiner Wohnung scheinbar außerordentlich wohlfühlten und zügig vermehrten. So tierlieb ich auch bin, das ging dann doch zu weit. Also traktierte ich die Palme mit allen möglichen Giften, folterte sie mit Wasserduschen, drangsalierte sie mit Spiritus und Kernseife. Aber nichts half – die renitenten Wollläuse ignorierten meine Angriffe einfach und verhöhnten mich mit ihrem ungebrochenen Lebenswillen. Also fing ich an, ihren Wirt weniger zu gießen. Schritt für Schritt – ganz unbewusst – reduzierte ich die Wasserzufuhr. Bis ich sie irgendwann gar nicht mehr goss. Das interessierte die störrische Pflanze in ihrer mit Eiern verseuchten Erde aber einen Dreck! Sie gedieh prächtig, bildete neue Triebe, war geradezu lächerlich grün und vital. Also stellte ich sie auf den Balkon. Im Winter. Bei minus drei Grad. Von dort lugte sie fortan spöttisch in meine Wohnung, erdreistete sich, noch mehr Triebe zu bilden. Also schnappte ich mir die Gartenschere und – ich bin nicht stolz darauf – schnitt sie bis auf ein paar stummelhafte Stämmchen zurück. Was soll ich sagen? Das eigensinnige Ding war nicht totzukriegen. Es trieb wieder aus. Vermutlich wächst und gedeiht die Palme heute noch auf irgendeiner Müllhalde munter vor sich hin.
Vor Gericht würde ich auf Schuldunfähigkeit plädieren. Ich bin nämlich psychisch vorbelastet. Arglos überwinterte ich einmal einen Orangenbaum in meinem Schlafzimmer, die Blätter ragten bis über mein Kopfkissen. Nach Monaten (!) nahm ich zum ersten Mal große, irritierend pelzige Tiere auf besagtem Baum wahr. Es waren die gleichen Übeltäter: Wollschildläuse. Ein Albtraum. Auch diesen Baum habe ich still und leise um die Ecke gebracht – mit einer scharfen Schere zusammengeschnitten, die Einzelteile entsorgt. Wenn man sich ein bisschen mit True Crime auskennt, weiß man, was einen Mörder zum Serienkiller macht: Er tötet mit zeitlichem Abstand mehrere Opfer. Ich bin ein Serienpflanzenkiller. Schuldig.
Zum Glück bin ich nicht die Einzige, die sich im Pflanzenreich eines Verbrechens schuldig gemacht hat. Man denke an die 91-Jährige, die in einem Krumbacher Seniorenheim Hanfpflanzen auf dem Balkon heranzog (die Augsburger Allgemeine berichtete). Arglos hatte sie die in ihren Augen hübsch anzusehenden Betäubungsmittel gehegt und gepflegt – und war dementsprechend mit einer Sicherstellung durch die Polizei überhaupt nicht einverstanden. “Erst durch gutes Zureden und nach mehrmaliger Erklärung sei die Seniorin doch noch zur freiwilligen Herausgabe bereit gewesen. Wie die 91-Jährige zu dem Saatgut kam, ließ sich zunächst nicht ermitteln.” Das eigentliche Verbrechen: Die unschuldigen, geliebten Pflanzen wurden von den Beamten vernichtet – nur weil sie von Natur aus THC enthalten. Grausam.
Im Gegensatz zu diesem Verbrechen, diesem ruchlosen Pflanzenmord, habe ich mich lediglich der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht. In einem Fall wurde ich sogar im Vorfeld arglistig getäuscht: Mein roter, von Spinnmilben befallener Fächerahorn verlor eines schönen Herbststages auf meinem Balkon alle seine Blätter. Ich nahm also an, er wäre ohnehin schon tot. Folgerichtig schnitt ich ihn zurück, bis auf den Boden, um den Wurzelballen irgendwann zu entsorgen. Was soll ich sagen? Es war Herbst. Im Nachhinein ist man immer klüger.